Klageschrift der deutschen Sprache

Diesen Podcast hatte ich schon vor knapp 2 Wochen veröffentlicht. Er war scheußlich gesprochen und einiges vielleicht missverständlich. Deshalb noch einmal und obwohl etwas mehr Text eingeflossen ist, ist die Dauer um 1 Minute (fast 20 %) gesunken.

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Hier könnt Ihr es lesen:

Eines Tages wanderte ich durch einen Wald, einen typischen deutschen Wald, mit Eichen, Buchen, Erlen, Birken und auch ein paar Kiefern. Als ich mehr zufällig hoch in die Bäume blickte, bemerkte ich an jedem Baum einen Zettel, auf dem offensichtlich etwas stand. Mit viel Mühe und Hilfe eines längeren Astes fischte ich mir einen Zettel herunter und sah die fette Überschrift

Klageschrift der deutschen Sprache

und las entsetzt diesen Text:

Werte Sprachverhunzerinnen und Sprachverhunzer,

euren unerbittlichen Kampf gegen Binnen-I, Sterne, Straßenkreuzungen, Doppelpunkten und was sonst noch die Verstümmlerinnen und Verstümmler einwandfreier deutsche Orthographie in petto haben, um Leserinnen und Lesern, Sprechern und Sprecherinnen, Rednerinnen und Rednern, Anwältinnen und Anwälten, Angeklagten und Angeklagtinnen  die Durchführung ihrer Tätigkeit nahezu unmöglich macht, zolle ich, ja, diesem Kampf, zolle ich meinen uneingeschränkten Respekt. Sie haben ihre Finger in die Wunde dieser Abkürzungsfanatikerinnen  und Abkürzungsfanatiker gelegt und stellen ein klares Stoppschild auf für alle diese unsinnigen Sprachverkürzerinnen und Sprachverkürzer, diesen verkappten Programmierknechten und Programmierknechtinnen (oder heißt es dann Programmiermägde).

Ich sage nur, stoppt diese Verächter und Verächterinnen deutscher Sprache, erhaltet die Möglichkeit unserer schönen Sprache, durch sinnentleerte Aneinanderreihungen überflüssiger Aufzählungen möglichst nichts zu sagen. Dies ist allemal besser als durch unaussprechliche Konstrukte auch nichts zusagen. Wirklich besser, wohl kaum,  deshalb: stoppt auch die Aufzähler und Aufzählerinnen unserer beiden oder aller möglichen denkbaren Geschlechter.

Und glaubt doch nicht, dass ihr – lese ich weiter – durch diese unendliche Aufzählerei zu waschechten Feministen und Vorkämpfer der Gleichberechtigung werdet (Pardon: natürlich Feministinnen und Feministen sowie Vorkämpfer und Vorkämpferinnen). Es verschafft euch nur das gute Gefühl angeblicher politischer Korrektheit und ihr könnt dahinter  euren Machismos, euer permanent geschlechterfeindliches Handeln verbergen. Stellt euch doch nur einmal vor, die Sprache hätte sich innerhalb eines Matriarchats und nicht eines Patriarchats entwickelt, –  wobei das ja nun gar nicht so genau weiß, wie das passiert ist,  – glaubt ihr dann, dass ich, also die Sprache einen solchen weitschweifigen Unfug zugelassen hätte oder dass vorzugsweise immer mit innen, innen, innen geredet werde würde.  Die Sprache ist viel zu ökonomisch, viel zu rational und rationell, sie ist weder weitschweifig, noch eine verkappte Programmiersprache, sie ist der Ausdruck eurer Seele und eures sozialen Miteinander und glaubt nicht, wenn ihr an diesem Ausdruck willkürlich herumschleift, das ihr damit irgendetwas an eurer Seele, eurem Miteinander ändert.

Und dann steht doch tatsächlich da: Und wenn ihr behauptet, dass ich mit solchen Reden das Geschäft der sogenannten Alternativen und anderer Deutschtümlerinnen und Deutschtümler besorge, dann rufe ich euch zu: Ihr habt zugelassen, dass diese Leute euer Geschäft besorgen und habt zugelassen, dass eure Sprache blutleerer und armseliger und sinnentleerter wird und sie nicht mehr als Waffe im Kampf gegen unbrauchbare Alternativen taugt. Besinnt euch, nehmt die Sprache wieder in eure Hände! Lasst es nicht zu, dass aus dem Sterben eurer Sprache, das Sterben eurer Gedanken, das Sterben eures Handelns wird.

gez. Der Hohe Rat der Deutschen Sprache

Völlig verwirrt verließ ich den Wald und eilte nach Haus, um zur Zeitung zu greifen und um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Da stellte ich fest, ich kann nicht mehr lesen, bei jedem Großen I mitten im Wort, bei jedem Stern hakte ich fest, kam nicht über diese Hürde. Entsetzt schaltete ich das Radio ein und kam nun über Liebe Hörerinnen und Hörer nicht hinweg.

Meine Damen und Herren, wenn Ihnen dieser Zettel in die Hände gerät, werfen Sie ihn sofort weg, er richtet bleibende Schäden an.