Zu verschwörungstheoretischem Denken
Es ist in den letzten Wochen etwas sehr Erstaunliches passiert. Mehr als 200 Regierungen dieser doch so unterschiedlichen Welt, sind sich in der Beurteilung der Corona-Krise nur in Schattierung uneinig und dies alles, ohne dass sie sich zu einer großartigen Sitzung zusammen gefunden haben.
Bei dieser überwältigenden Einigkeit sollte man doch meinen, dass da kein Plätzchen mehr für großartige Verschwörungstheorien übrig ist. Aber ganz im Gegenteil, sie blühen und gedeihen vielleicht gerade deshalb. Und ich fing an zu überlegen, ob ich mich damit intensiver beschäftigen sollte. Ich gebe zu, dass die Beschäftigung mit diesen Theorien mir einige Schwierigkeiten bereitet. Das hängt natürlich vor allem damit zusammen, dass man fein säuberlich unterscheiden muss, wo finden nur abweichende Meinungen vom sogenannten Mainstream statt und wo muss man die Keule Verschwörungstheorie herausholen.
Ich muss vorausschicken, dass mir der Begriff Verschwörungstheorie überhaupt nicht gefällt. Das hat den einfachen Grund, dass der Begriff ursprünglich von Leuten und aus Gründen eingeführt wurde, die nun überhaupt nicht nach meinem Geschmack sind. Der Begriff ist eine Erfindung, möglicherweise eine Gemeinschaftserfindung von CIA und FBI mit der Zielsetzung, alle Theorien, die damals Attentatstheorien genannt wurden, die nicht der offiziellen Lesart über die Vorgänge um den Kennedy Mord folgten, die von der Warren-Kommission festgelegt wurde,.
Dass die Warren-Kommission damals horrenden Blödsinn verbreitet hat, und dies nicht etwa aus Unfähigkeit sondern sehr gezielt, bestreitet heute kaum noch jemand. Aber das Ziel war schon erreicht, weitere offizielle Untersuchungen zum Kennedy Mord haben nicht mehr stattgefunden, ich muss einschränken, ich habe jedenfalls nie wieder etwas Derartiges gehört. Das hat natürlich damals weder dem Journalismus Ruhe gelassen, noch den Thrillerautoren, noch der Hollywood-Filmindustrie.
Dass dieser Begriff dann eigentlich von der Gegenseite übernommen wurde, also den Kräften, die den amerikanischen Geheimorganisationen und natürlich deren steuernde Hintermännern alles Mögliche Böse zutrauten, entbehrt nicht einer gewissen Komik.
Vielfach neigen Leute, die wie ich allergisch gegen Verschwörungstheorien sind, dazu, alles was nicht offen auf dem Tisch liegt, als Verschwörungstheorien zu verdammen. Das ist eine geistige Vereinfachung, die wir uns nicht leisten sollten, wenn wir uns mit den tatsächlichen und letztlich auch gefährlichen Verschwörungstheorien auseinandersetzen wollen.
Aus der Literaturkritik wissen wir, dass jede Literatur, also Schriftstücke, die den Anspruch erheben, Literatur zu sein, einen doppelten Boden haben. Und ein tieferes Verständnis der Literatur kann man nur erlangen wenn man diesen doppelten Boden wenigstens erahnt. In der Politik und der Wirtschaft kann man davon sprechen und spricht man davon, dass hinter jeder Geschichte eine andere Geschichte ist.
Wenn politische Handlungen besonders dämlich erscheint, vielleicht auch dem Handelnden sogar schaden könnte, sollte man sich fragen, ob dahinter nicht ein verstecktes strategisches Interesse liegt, das Vorrang vor einem kurzfristigen Nachteil hat. Dies wäre dann die Geschichte hinter der Geschichte. Doch wenn man in diese Denkrichtung geht, dann sollte man sie auch konsequent weitergehen, dann gibt es nämlich auch eine Geschichte hinter der Geschichte hinter der Geschichte und so weiter und so weiter. Ob wir uns dann im verschwörungstheoretischen Gestrüpp verheddern, ist sicher kaum noch auszumachen.
Was ich sagen will, ist, dass die Welt komplexer ist, als sie auf dem ersten Blick erscheint. Obwohl es nun so erscheinen mag, dass ich hiermit Verschwörungstheorien anhänge, ist es im Grunde genommen das Gegenteil einer Verschwörungstheorie. Verschwörungstheorien lassen nur erscheinen, dass die Welt komplex ist, indem sie Vermutungen, Gerüchte, Hypothesen zu großartigen Wahrheiten aufblasen. Sie sind die großen Vereinfacher, die Alleserklärer. Und das immer mit der gleichen Ideologie, dem gleichen Denkansatz: das Volk wird verdummt, die Regierung lügt, die Medien manipulieren, die Macht haben immer die gleichen. Die Liste dürft ihr fortsetzen.
Ich behaupte nicht, dass es damit einfacher geworden ist, Verschwörungstheorien als solche zu enttarnen, aber sie sind ein Anhaltspunkt. Für mich gibt es darüber hinaus auch noch einen psychologischen Anhaltspunkt: wenn ich diese Leute sprechen höre, wird mir immer körperlich unwohl dabei, um es noch sanft auszudrucken. Aber auch da muss ich aufpassen, denn das Unwohlsein kann ja auch daher rühren, dass mir lieb gewordene Wahrheiten, liebgewordene eigene Wahrheiten in Frage gestellt werden und da wehrt sich nicht nur der Geist sondern auch zuweilen der Körper.
Nun möchte ich mich dem, was eine Verschwörungstheorie ist, von einer neutraleren Seite nähern. Ohne jede Wertung handelt es sich um eine Ansicht. Und jeder hat Ansichten zu allen möglichen Dingen und eine Meinung, die mag richtig oder die mag falsch sein.
Was macht nun eine Ansicht zu einer Verschwörungstheorie. Ich lehne mich sehr weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass jeder, der zu allen Problemen, die im öffentlichen, gesellschaftlichen, politischen Leben auftreten, eine feste Ansicht, eine überraschend schnelle Interpretation und dann meistens auch nicht mehr änderbare Meinung hat, einer Verschwörungstheorie anhängt. Dabei ist noch nicht einmal angenommen, dass diese Ansichten in irgendeinem Sinne irgendetwas Negatives sind oder – was man als ein bestimmtes Kennzeichen von verschwörungstheoretischer Meinungsbildung ansehen kann – dass diese Ansichten in irgendeiner Weise manipulativ sind. Ich bin hier noch völlig wertungsfrei. Wir können also als ein relativ sicheres Kriterium festhalten, dass die Meinungsbildung zu einem Geschehen in relativ kurzer Zeit erfolgt, ja, in ihrer Struktur eigentlich schon vorher feststeht, und dann unverrückbar und nicht mehr hinterfragbar beibehalten wird.
Eine Widerlegung ist unter diesen Bedingungen de facto nicht möglich und das scheint mir ein zweites Kriterium für die Erkennbarkeit verschwörungstheoretischen Denkens zu sein: es kann prinzipiell nicht widerliegt werden.
Ein weiterer Hinweis auf eine verschwörungstheoretische Denkweise, ist eine rechthaberische Ausdrucksweise, die sowohl schriftlich aber besonders mündlich zum Ausdruck kommen kann. Das hat bei mir immer dieses Gefühl des Unwohlseins ausgelöst. Wenn man mit diesem Phänomen der Ausdrucksform zu tun hat, ist die Erkennung relativ leicht. Leider ist es nur ein ziemlich hinreichendes Kriterium aber kein notwendiges. Ich bin mehrfach auf Reden – ja besonders bei Reden – dann hereingefallen, die in einer besonders einfühlsam Weise vorgetragen wurden, wo man dann erst bei näherem Analysieren erkennen konnte, dass das zur Hälfte blanker Unsinn ist und zur anderen Hälfte aus Halbwahrheiten zusammengeknetet wurde. Im schriftlichen erkennt man so etwas schon eher, solche Werke legt man dann auch schnell weg, aber ein netter halb oder ganzstündiger Vortrag, von dem lässt sich auch gerne mal beeindrucken.
Kommen wir zu etwas Konkretem: eines der schwersten Geschütze, dass die verschwörungstheoretische Klientel aufruft bzw. aufstellt, ist der so genannte tiefe Staat. Dieser Begriff hat sich mittlerweile fest etabliert und wird vermutlich auch von seriösen Leuten untersucht. Man kann diesen Begriff auf diese einfache Formel reduzieren: Hinter dem offiziellen Staat gibt es noch eine mächtige Klientel, die unsere sichtbaren Politiker als Hampelmänner laufen lässt und in einer völlig unverantwortlichen und demokratisch unlegitimierten Weise aus dem Hintergrund diese von uns bestimmten Repräsentanten dirigieren. Diese Feststellung ist de facto nicht widerlegbar es gibt nur einige Hinweise, dass dem nicht so ist.
In neuester Zeit gibt es natürlich als ganz starken Hinweis das Handeln in der Corona-Krise, das man wohl kaum mit einem tiefen Staat in Verbindung bringen kann. Selbst wenn man der Meinung ist, dass die alten Hintergrund-Akteure gegen neue ausgetauscht worden sind, fragt sich, wer wohl diesen Austausch besorgt hat? Wieder neue Hintermänner eines noch tieferen tiefen Staates? Oder waren es doch die sogenannten „Hampelmänner“ da vorne, die mit der Stimme und meinetwegen aus Angst vor der Stimme des Volkes so entschieden haben, dass den eigentlichen wirtschaftlichen Akteuren, wie mir scheint, die Spucke weg geblieben ist.
Aber auch die ersten Ansätze zu einer massiveren Klimapolitik lassen nicht darauf schließen, dass der tiefe Staat (häufig wird tiefer Staat mit großem T geschrieben, ich denke, das ist zu viel der Ehre) dies bewirkt hat. Selbst wenn man meint, das riesige Finanzinstitute wie Blackrock zu nachhaltigem Handeln aufgerufen haben, muss man sich wieder fragen, aus welchen Motiven heraus das geschehen ist, wer hat da eigentlich Druck auf wen ausgeübt. Haben die Institute vielleicht erkannt, dass auch sie nicht gegen den Druck der öffentlichen Meinung handeln können? Oder dass es vielleicht erfolgreicher ist, mit dem Druck der öffentlichen Meinung zu handeln? Lassen wir das offen. Ich will ja nur ganz ganz leichte Zweifel sehen in den Köpfen der Vertreter des tiefen Staates.
Psychisch Kranke oder unter Drogen stehende Personen vermögen durch mündliche oder schriftliche Darlegung Menschen von ihren Inhalten zu überzeugen und Komplexität wieder in einfache schwarz-weiß Muster darzustellen. Diese Personen zu erkennen ist besonders schwierig, aber wichtig um nicht auf geistiger Ebene gegen ihre Theorie anzugehen sondern auf der Ebene ihres Problems. Der Kiffer hat eine andere Denkweise als der Psychopath.