Hände weg von BMW

Das mag ja alles ein bisschen verspätet erscheinen, sich jetzt noch zu den Überlegungen von Kevin Kühnert auszulassen, BMW und eventuell noch andere Großkonzerne zu enteignen. Aber da solche Forderungen immer wieder aus allen möglichen linken Ecken kommen, ist es für eine Auseinandersetzung mit solchen Thesen eigentlich nie zu spät. Insbesondere wenn man an das dazu gehörende Gegenstück, die Privatisierung denkt, die teilweise wahre Orgien feierte.  Ich weiß nicht, wie Kühnert seine Überlegungen motiviert hat, könnte ich natürlich nachschauen, aber das ist eigentlich völlig unerheblich, es sei denn die Motive ergeben sich aus den nachfolgenden Überlegungen.

Zunächst muss ich vorausschicken, was Enteignung eigentlich unter demokratischen und kapitalistischen Randbedingungen bedeutet. Es marschiert ihr hier keine Bolschewiki oder keine SED auf, die den armen Fabrik- und Landbesitzer ihren Besitz streitig macht und diesen ihnen gewaltsam entreißt. Enteignung bedeutet ja unter unseren Bedingungen nichts anderes als abkaufen durch den Staat, genauer durch den Steuerzahler also durch uns. Und ob wir etwas kaufen wollen , und zu welchen Preisen, das sollten wir uns doch sehr genau überlegen.

Abkaufen durch uns bedeutet also die Übernahme von wenigstens 51% der Aktien und dies zu einem Preis, der heute an der Börse immer noch erstaunlich hoch ist und natürlich noch höher schießen würde, wenn ruchbar werden würde, dass der Staat den Laden übernehmen will. Und wenn es dann zum Handeln kommt, müssen wir noch mal ein paar Prozente drauflegen, damit die Aktionäre so gnädig sind, uns alles großzügig zu überlassen.

Wenn wir dann so glücklich sind, den Laden zu haben, dann dürfen wir das tun, was die Aktionäre – sprich die Besitzer von BMW – hätten tun müssen mit ihrem Geld und ihrem Risiko, nämlich den gewaltigen Umbau, der für die Autoindustrie auf Grund der Klimakatastrophe heute ins Haus steht, zu stemmen. Das also dürfen wir nun tun. Und wenn wir es dann geschafft haben, BMW in ein Hybrid-Wagen-Geschäft oder in ein Roboter-Konstruktionsgeschäft oder in einen Strumpfladen umzubauen, dann werden wir feststellen oder genauer die dann amtierende Regierung wird feststellen, dass wir tief in den Schulden stecken, dass wir das unseren Enkel nicht überlassen können, dass wir schnellstens diesen Laden wieder privatisieren müssen, um an das nötige Geld heranzukommen und Tilgung und Zinsen wieder auf ein erträgliches Maß zu drücken. Das ist dann sogar noch eine ziemlich rationale Begründung, man kann sich aber auch die typische Begründung vorstellen, die dann von einer bestimmten Partei mit Sicherheit erhoben wird, dass der Staat als Unternehmer nichts taugt und dass solche Firmen in private Hand gehören.

Könnten sich also Kühnert und Co. mit einer solchen Forderung durchsetzen, wäre natürlich die vordergründige Empörung gewaltig, der hintergründige Jubel der Eigner aber noch gewaltiger. Dieser Vorgang ist keine Phantasie von mir, sondern hat bereits in der Realität stattgefunden, z. B. bei der französischen Autoindustrie.  Wir haben uns bislang beim zweiten Schritt hervorgetan, der  Privatisierung von kommunalen Wohnungen und dies durch eine rot-rote Stadtregierung, also man braucht für einen solchen Schritt nicht einmal die üblichen Verdächtigen.

Vor diesem Hintergrund darf man sich natürlich fragen, was an der Forderung oder der Überlegung von Kühnert eigentlich links ist. Das erscheint doch mehr wie das Gegenteil. Aber darüber möchte ich hier nicht weiter spekulieren, das soll Kühnert für sich tun und sich vielleicht mal dazu erklären. Ich werde ihm das zukommen lassen, mal sehen, ob ich was dazu höre.

Halten wir also fest: das ist weder links, noch linksradikal, noch bolschewistisch, noch SED-Politik, es ist schlicht und einfach neoliberal.

Dennoch darf man sich fragen,  ist Enteignung, also Übernahme von großen Unternehmen durch uns Steuerzahler immer schlecht, weil es eventuell immer diese Konsequenz hat. Soweit würde ich in meinen Folgerungen nicht gehen. Man sollte sich zunächst fragen, was zu welchen Bedingungen enteignet wird, und welche Vorteile es für uns Steuerzahler hat.

Wir haben ja seit 2008 den so schön handlichen Begriff „Systemrelevanz“ und nun ist er durch die Corona-Krise wieder in Mode gekommen. Also sollte man als erstes die Frage stellen, welche Unternehmen sind systemrelevant. Durch die Corona-Krise wissen wir definitiv, dass es weder irgendeine Autofirma ist noch irgendeine Bank. Ich weiß nicht, ob es mir gelingt alle systemrelevanten Einrichtungen aufzuzählen, darauf  kommt es auch nicht an. Auf alle Fälle wissen wir: das Gesundheitswesen, die Energieversorgung, die Wasserversorgung, öffentlicher Verkehr, die Telekommunikation einschließlich des Internets und unter bestimmten Randbedingungen auch die Wohnungswirtschaft sind systemrelevant. Wenn also – und das ist meine Überzeugung – über „Enteignungen“ (besser ist „Abkäufe“) diskutiert wird, haben sie sich von vornherein auf systemrelevante Einrichtungen zu fokussieren.

Bitte jetzt nicht gezielt missverstehen! Das ist keine Forderung, diese Unternehmungen jetzt oder in Zukunft zu enteignen, sondern dass nur diese und nur diese Unternehmen auf eine solche Verstaatlichungsliste gehören, wenn Sie ihren Eigentümerverpflichtungen unzureichend und nicht zum Wohle der Allgemeinheit nachkommen. In jedem Fall ist es aber eine Aufforderung, dass solche Unternehmen unter keinen Bedingungen, ich betone unter keinen Bedingungen, auch nicht unter der Bedingung einer riesigen Schuldenlast, zu privatisieren sind . Hier müsste ein Verfassungsgebot dagegen stehen.